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SEPP HIEKISCH-PICARD

Die “tamboritos“ “cajones“ von Carlos Manrique“


ANMERKUNGEN ZU SEINEN NEUEN WERKEN

Fast ein Jahrzehnt nach seiner ersten großen Einzelausstellung in einem
deutschen Museum präsentiert das Stadtmuseum Siegburg den venezolanischen
Künstler Carlos Manrique erneut mit einem Querschnitt durch sein Jüngstes
schaffen. Carlos Manrique lebt seit zwanzig Jahren in Köln und er ist der
Domstadt in vielfältiger Weise verbunden: Als Maler, Musiker, Performance-
Künstler, Illustrator, Konzertveranstalter und als Vermittler lateinamerikanischer Kultur ist er seit den legendären Stollwerck – Zeiten aus der Kölner Szene kaum vor zu denken. Manrique´s bildkünstlerische Sprache speist
sich aus der Polarität seiner Erfahrungswelt; sie ist ein fortwährendes Bestreben,sich künstlerisch seiner lateinamerikanischen Identität zu versichern und gleichzeitig einen Platz in der hiesigen aktuellen Kunstszene zu behaupten.
Eine dominierende Rolle spielen die Mythen und Legenden seiner venezolanischen Heimat,in deren synkretistischen Kultur afro-indianische Elemente starken Einfluss haben.

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Das “Wunderbar – wirkliche“ ( Alejo Carpentier) des südamerikanischen Kontinents, das in der Literatur von Gabriel Garcia Marquez, Pablo Neruda und Lezama Lima gefeiert wird, ist auch der Nährboden für Manrique Imagination. Christliche, afrikanische und indianische Traditionen und Rituale verschmelzen zu einer neuen Einheit. Doch auch die Schärfe der sozialen Konfrontationen, Armut, Gewalt und Unterdrückung, die Brutalität der Diktatoren, Folterknechte und Inquisitoren gehören zur Kollektive Erfahrung, die Manrique von dem amerikanischen Kontinent nach Deutschland mitbringt.
Die Übersiedlung nach Europa, die Impulse während des Graphik-Studiums bei Provoslav Sovák in Köln, das Formvokabular der urbanen Graffiti- Kunst und die erfolgreiche Bewegung der “Neuen Wilden“ zu Beginn der achtziger Jahre tragen zur Klärung einer eigenständigen künstlerischen Position entscheidend bei.
Carlos Manrique betreibt in seinem Werk eine Konsequente “ Rückeroberung
der Vergangenheit“ (Octavio Paz). Aus der Distanz, aus der europäischen Perspektive heraus,erscheinen die exotischen Elemente seiner eigenen, afroindianisch geprägten Kultur fremder und klarer zugleich. Die Werkentwicklung seit frühen agitatorisch – Sozialkritischen Graphiken der siebziger Jahre bis zu heutigen Objektbildern und Skulpturen lässt sich lesen als ein Prozess der künstlerischen Selbstfindung, in welche die Erfahrungen des Malers und des Musikers Carlos Manrique zu einer neuen Synthese finden.

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In den Arbeiten der neunziger Jahre dominiert das Zeichenhaft- Narrative,
in der gesamten künstlerischen Entwicklung immer den zu malerisch
gesteigerten, fast halluzinativen Ausdrucksformen gebildet hat.
Die “tamboritos“ und “cajones“ genannten, leinwandbespannten Dosenobjekte, rufe die Welt der religiösen “fiestas“, der Straßenmusik und der vielgestaltigen Mythen, Legenden und Rituale der venezolanischen Heimat in Erinnerung. Altmexikanische Symbole,frühzeitliche Petroglyphen, die Keramik- Ornamente der peruanischen Hochkulturen,aber auch zeichenhaft verknappte Kürzel einer gegenwärtigen sozialen Realität bevölkern die Vielzahl der Kreisförmigen, seriell angeordneten Leinwände der “tamboritos“. Lebens- und Todessymbole: Schlangenlinie, Sonnenfigur, Totenkopf und Maske verweisen auf notwendigen Beziehungen zwischen Leben und Tod, die in den
kosmogonischen – Vorstellungen Altamerikas eine grundsätzlich andere Bedeutung
besitzen als in der europäischen, den Tod verneinenden, ihn aus Leben verbannenden Tradition. Manrique Zeichenbilder erschließen sich wie musikalische Notationen oder Texte,deren Sinn im Assoziativen verbleibt auch darin mesoamerikanischen Traditionen durchaus vergleichbar:

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“Das Wort, Das auf die mesoamerikanische Kunst zutrifft, ist Ausdruck
Kunst, die spricht, doch das, was sie sagt, sagt sie mit solchem Nachdruck, das dieses
Spreche immer ausdrucksvoll ist Ausdrücken: den Saft, die Essenz ausdrücken nicht
nur der Idee, sondern auch der Form.  Eine mit Attributen und Zeichen entdeckte Maya –
Gottheit ist keine Skulptur, die wir lesen können wie einen Text, sondern ein Skulptur –
Text oder eine Text – Skulptur. Verschmelzung von Lektüre und Betrachtung,
zweier Tätigkeiten, die im Westen voneinander getrennt sind“ 
(Octavio Paz).

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Ein solches Verschmelzen von Lektüre und Betrachtung, von denotativen und assoziativen
Elementen, musikalisch rhythmisiert und komponiert, bildet die Grundstruktur der
„tamboritos“ und “Cajones“ Carlos Manriques. Die religiösen Feste der Kindheit, “ Cruz de Mayo“ und “Mampulorio“ mit ihren Totengesängen Trommelrhythmen sind der Ausgangspunkt für Manrique´s Werkgruppe der “tamboritos“. Beschwörungen, Rituale, Magie, die “Teufel von Yare“ des Fronleichnamsfestes und die Tänze in Form eines Kreuzes als Ausdruck des Sieges über das Böse klingen in diesen totemhaften Objekten nach. Carlos Manrique verleiht in seiner unverkennbaren Zeichensprache den volkstümlichen Traditionen seines Kontinents universale Geltung.
Er macht Alternativen sichtbar zur technischen Rationalität unsere westlichen Zivilisationen, indem er einer anderen Wirklichkeitserfahrung Gestalt gibt.

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Er zeigt uns:

“das Wirkliche in seinen unmittelbarsten Manifestationen und Wunderbare in seinen
phantastischen Manifestationen keine andere Wirklichkeit, sondern der andere Aspekt,
die andere Dimension der Wirklichkeit“
(Octavio Paz).

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Sepp Hiekisch- Picard

Museum Bochum

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